Irmgard Meyenberg

Die Buchkünstlerin Irmgard Meyenberg (1907-2007) war eine Christin jüdischer Herkunft. Versteckt im Hause Albert Lempps an der Isabellastraße 20 entging sie nur durch einen großen Zufall der Verhaftung durch die Gestapo, der drohenden Deportation und überlebte so die Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges.

Irmgard Meyenberg wurde am 17. April 1907 in Braunschweig geboren. Sie wuchs mit zwei Schwestern in einer Professorenfamilie auf, die, von jüdischen Vorfahren stammend, evangelisch-lutherisch war. Frau Meyenberg lernte das Handwerk der Buchbinderei. Nach Ablegung ihrer Gesellinnenprüfung ging sie an die Akademie nach Leipzig, um ihr Handwerk, das ihr lebenslang weit mehr bedeutete als nur einen reinen Broterwerb, fortzuentwickeln in die spätere Richtung des Künstlerischen und der Buchrestauration.

Hier traf sie Edith Holm, die Tochter von Korfiz Holm (einem Münchner Schriftsteller und Journalisten), die gerade ihren Meister gemacht hatte. Die beiden Freundinnen waren sehr verschieden. Frau Holm hatte einen guten Geschäftssinn. Frau Meyenberg brauchte Zeit, sich zu entschließen. Wenn sie sich entschieden hatte, dann blieb sie fest in ihrem Entschluss. So entstand die Firma Handbuchbinderei Holm und Meyenberg. Frau Holm war an dem Restaurieren von alten Büchern interessiert, und sie bekamen interessante Aufträge: Eine Lutherbibel z. B., die so wertvoll war, dass sie eine Extra-Versicherung brauchten. Die neue Firma ging langsam aber sicher voran.

Emigration der Familie
Es kam eine gefährliche, eine böse Zeit. Vater Meyenberg war nach der Lektüre von Hitlers Buch »Mein Kampf« zu der festen Überzeugung gekommen, dass es, falls dieser Mann an die Macht käme, kein Bleiben in Deutschland mehr gäbe. Durch den Arierparagraphen verlor der Professor über Nacht Lehrstuhl, Gehalt und jeglichen Pensionsanspruch. Nach reiflichem Entschluss ging die Familie mit der ältesten Tochter nach England und baute sich dort unter großen Mühen eine neue Existenz auf. Kaum etwas spiegelt die Absurdität der Zeit und Situation sinnfälliger wider als die Tatsache, dass Professor Meyenberg, der im Ersten Weltkrieg im deutschen Heer gekämpft hatte, nun mit der britischen Army im Krieg gegen Hitlerdeutschland stand, und dass Irmgard Meyenbergs Schwester einen Job in der Rüstungsindustrie hatte, wo Bomben hergestellt wurden, die auf deutsche Städte fielen in einem Land, das ihrer dort lebenden Schwester nach dem Leben trachtete.

Überleben im Versteck
Das Jahr 1933 bedeutete für Irmgard Meyenberg eine schwierige Entscheidung: Frau Meyenberg war jüdischer Abstammung. Im Gegensatz zur Emigration ihrer Familie aus Hitlerdeutschland wollte sie, sich der Gefahr wohl bewusst, in Deutschland und München bleiben. Nach vielen Diskussionen in den beiden Familien Holm und Meyenberg wurde Folgendes beschlossen: Die Firma wurde aufgelöst. Frau Holm wurde Besitzerin, und der Name der Firma war: Handbuchbinderei Edith Holm. Frau Meyenberg trat als Gesellin in die neue Firma ein.

Die erste Adresse der Werkstatt war in der Luisenstraße ganz in der Nähe der Propyläen. 1942 zogen sie dann in die Isabellastraße 20 in München um. Wohnung und Arbeitsplatz waren unter einem Dach. Sie waren im obersten Stock. Als die Luftangriffsgefahr wuchs, wurden die Maschinen und die Werkstatt im Keller untergebracht. Ein paar Wochen später brannte die Wohnung aus, und beide Damen zogen in zwei Zimmer im ersten Stock. Erst 1947 wurde ihre neue Wohnung im obersten Stock wieder bewohnbar.

Rettung durch Bomben auf die Gestapo-Zentrale
Auch unter Obhut und Fürsorge ihrer Freundin Edith Holm blieb Irmgard Meyenberg in der NS-Diktatur schwer gefährdet. Sie hielt sich in der gemeinsamen Wohnung auf. Wenn die Gestapo kam, hat Frau Holm Frau Meyenberg in einem Seitenraum versteckt, und die Behauptung, Frau Meyenberg sei bei ihrer Familie in London, wurde bei der Tochter Korfiz Holms akzeptiert. (1) Einen Brief, den ihr Vater ihr über Vermittlung des Roten Kreuzes in der Schweiz von England nach Deutschland schrieb, fing die Gestapo ab, und ihre versteckte Existenz im Hause Lempp war enttarnt. Umgehend wurde sie in das Gestapo-Hauptquartier vorgeladen, wo man ihr befahl, dass sie sich zu einem Termin zwei Wochen später dort wieder einzufinden habe – die unausgesprochene Ankündigung der Deportation ins Vernichtungslager.

Dazu kam es nicht mehr, weil binnen dieser zwei Wochen des Gestapo-Hauptquartier durch das alliierte Bombardement zerstört wurde. Danach erfolgte keine Vorladung mehr an Irmgard Meyenberg, und sie blieb unbehelligt. Noch eine Absurdität: Tödliche Bomben, die andere Menschen das Leben gekostet haben mögen, retteten so Irmgard Meyenberg und möglicherweise noch weitere Verfolgte …

In den nächsten zwanzig Jahren nach NS-Diktatur und Krieg bauten die Freundinnen ein gut gehendes Geschäft auf. Die Firma hatte einen guten Namen, und Handbuchbindereien wurden immer seltener, so dass die Arbeit für die »Überbleibsel« wuchs.
Im Anfang der Siebziger Jahre ließ Frau Holms Gesundheit nach. Sie hatte Parkinson und starb nach langer Krankheit im November 1976. Frau Meyenberg entschloss sich, die Werkstatt allein weiterzuführen, aber sie hatte keine Lehrlinge mehr. Nach Frau Holms Tod arbeitete sie meistens allein. Glücklicherweise war sie gesund bis auf einen Oberschenkelhalsbruch in den 1960er-Jahren.

Dann im April 1999 an ihrem 92. Geburtstag entschloss sie sich, mit der Arbeit aufzuhören, die langsam zu schwierig und schwer für sie wurde. Von deutlichem Schwinden der Kräfte und des Lebenswillens gezeichnet verstarb Irmgard Meyenberg knapp ein halbes Jahr nach ihrem hundertsten Geburtstag am 10. September 2007 in ihrer Wohnung, die ihr – auch mit ihren außergewöhnlichen sozialen Netzen der Hausgemeinschaft und Nachbarschaft – 65 Jahre lang Heimat und Zuflucht auch in böser Zeit war.

Der Stolz der beiden Freundinnen, die gemeinsame Werkstatt, und Irmgard Meyenbergs Sammlung von Stempeln sind heute Prunkstücke im Buchdruckmuseum in Leipzig, der Stadt, in der diese Freundschaft für ein Leben begonnen hatte. (hg)

Anmerkungen: Dieser Auszug aus der Ansprache anlässlich der Trauerfeier für Frau Irmgard Meyenberg am 14. September 2007 auf dem Münchner Westfriedhof gibt ein Manuskript der inzwischen auch verstorbenen jüngeren Schwester von Frau Irmgard Meyenberg, Frau Eva Meyenberg, wieder, das um eine Nachricht von Frau Irmgard Lempp ergänzt wurde sowie um weitere Informationen, die Pfarrer Hermann Geyer anlässlich der Trauerfeier im Gespräch mit Angehörigen der Verstorbenen erfuhr.

(1) So Irmgard Lempp, Tochter des damaligen Hausbesitzers Albert Lempp, heute in Krailling lebend, in einem Brief vom 19. April 2008 an Armin Rudi Kitzmann zum Leben von Frau Irmgard Meyenberg.

© Pfarrer Hermann Geyer, Kreuzkirche München zum Gedenkgottesdienst am 6. Juli 2008