Walter Classen

Noch bei einem anderen Verleger traf sich der Kreis um den Besitzer des Chr. Kaiser Verlags, Albert Lempp, und dessen Frau Marie regelmäßig: beim Schweizer Verleger Walter Classen und seiner Frau in der Bogenhausener Maria-Theresia-Straße 19.

Der Schweizer Verleger Walter Classen (Schreibweise variiert) wurde am 24. Februar 1883 in Stuttgart geboren. 1937 hatte er in München den traditionsreichen F. A. Ackermann Kunstverlag übernommen, der sich auf hochwertige Kunstreproduktionen und Kunstpostkarten spezialisiert hatte. 1938 zog seine Familie nach und lebte in der Maria-Theresia-Straße 19 in Bogenhausen.

Auch in der Zeit des Nationalsozialismus und des Kriegs blieb der Verlag im Besitz des Schweizers. 1944 wurde sein Verlag in Walter Classen Verlag umbenannt.

Walter Classen war einer der wichtigsten Helfer von Pfarrer Johannes Zwanzger, der die Münchener Zweigstelle des »Büro Grüber« innehatte, das ursprünglich »nichtarischen« Christen die Ausreise ermöglichen sollte, dann aber seine Hilfe erheblich ausweitete. Anne Lore Bühler erzählt: Walter Classen »half nämlich bei der Beschaffung von Pässen. Er hatte Beziehungen zu beamten, die ihm Passformulare überließen, im Notfall stahl er sie auch. Er ließ sie für Juden, die fliehen oder untertauchen wollten, fälschen.« Und sie zitiert einen Bericht von Pfarrer Walter Hennighausen:

»Einmal wurde ich von Herrn Classen fernmündlich zu ihm gebeten. Er war mein Gemeindeglied und ich kannte ihn, den Schweizer, schon durch seinen ausgezeichneten Postkartenverlag. Nun also, ich ging zu dem trefflichen Mann gleich hin, wie er ja auch nicht weit von mir eine größere Wohnung gemietet hatte, in deren einzelnen Zimmern Regal an Regal stand, alle angefüllt mit Sorten verschiedenster Postkarten. Ich wurde sofort zu ihm in sein Privatkontor geführt und er gab einer seiner Hilfen den Auftrag, den Karton ‚Mozart, Figaros Hochzeit‘ zu bringen: Der Herr Pfarrer interessiere sich dafür. Ich staunte etwas. Er hieß mich schweigen und sagte dann, als das Geforderte auf dem Tische stand: ‚Danke schön, gehen Sie an Ihre Arbeit. Sollte ich Sie benötigen, dann werde ich Sie rufen. Ich möchte jetzt allein sein mit dem Herrn Pfarrer‘. Dann wandte er sich zu mir. ‚Sehen Sie, dahinten drin habe ich meine Judenkartei; für die hier Angeführten habe ich zu sorgen.‘ Er erklärte mir, dass er mit einem ganzen Netz von solchen Betreuern in Verbindung stehe…«

Seine Familie schickte Walter Classen im Herbst 1943 in die sichere Schweiz. Er selbst folgte Ende 1944 nach. Sein Verlag wurde während des Kriegs von Classens Sekretärin, später von einem Geschäftsführer kommissarisch weitergeführt. Classen kehrte nach Ende des Kriegs nach Deutschland zurück. Er starb am 8. November 1955 in Stuttgart. (srr/ms)

Quellen zu Walter Classen (1883-1955):

  • Anne Lore Bühler: Der Kirchenkampf im evangelischen München. Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, 5. Band, Nürnberg 1974
  • Reinhard Würffel: Kompendium deutschsprachiger Verlage. Grotesk Verlag Berlin 2009